Description (deu)
Die Arbeit behandelt die lokalen, öffentlichen Umgangsformen mit der institutionalisierten Gewaltgeschichte der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in der österreichischen Marktgemeinde Kirchberg am Wagram. Dies lässt sich in eine breitere Debatte rund um verübtes Unrecht im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe einordnen. Aufarbeitungsprozesse im österreichischen (Fach)Diskurs beschränken sich dabei auf die letzten zwei Jahrzehnte und stehen demnach erst am Beginn. Im Fall der Erziehungsanstalt in Kirchberg am Wagram ist bis heute kaum eine nennenswerte Thematisierung zu verzeichnen und auch im Ort selbst findet man keinen Hinweis auf die Gewaltgeschichte. In diesem Zusammenhang wird in der vorliegenden Arbeit der Frage nach Dynamiken und Diskursen, die sich in den Facetten der Auseinandersetzung manifestieren, nachgegangen. Der analytische Fokus auf die Mehrdimensionalität des öffentlichen, lokalen Umgangs ergibt sich aus rezenten Thematisierungspraktiken, die sich seit einer Kulturveranstaltung im Jahr 2017 feststellen lassen. Um die öffentlichen Umgangsformen mit diesem soziohistorischen Unrecht in ihrer sozialstrukturellen Bedingtheit zu verstehen, wird auf das öffentlichkeitstheoretische Modell von Jürgen Habermas (1990) Bezug genommen. So lassen sich Zusammenhänge und Wechselwirkungen unterschiedlicher Öffentlichkeitssphären in ihrer Prozesshaftigkeit und Dynamik herausarbeiten und auf die Mikrokultur Kirchberg am Wagram übertragen. Die Gemeinde als elementarer Bezugsrahmen wird entsprechend den Thesen der Gemeindesoziologie nach René König (2021) analysiert und auf die Spezifik ihrer Sozialstruktur untersucht, denn die Geschichte der Erziehungsanstalt ist, wie die Arbeit zeigt, tief im lokalen kollektiven Gedächtnis der Gemeinde verankert. Diese Strukturen kollektiver Erinnerungsprozesse werden nach dem Konzept des kollektiven Gedächtnis’ von Maurice Halbwachs (1985, 1966) untersucht. Die Arbeit basiert auf erhobenen und interpretierten Primärdaten, die mittels Interviews und Beobachtungen erhoben und nach dem Schema der Grounded Theory nach Anselm Strauss und Juliet Corbin (1996) und kritischer Diskursanalyse nach Siegfried Jäger (2009) ausgewertet wurden. Neben einer Analyse öffentlicher Auseinandersetzungen, wird beleuchtet, wie die Disziplin der Sozialen Arbeit durch ihre Ausrichtung als betroffenenzentriert, anwaltschaftlich und politisch einen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten vermag.